Muhsin Hendricks ermordet
Nachruf auf den ersten offen schwul lebenden Imam
Muhsin Hendricks, der erste offen schwul lebende Imam weltweit, wurde Am 15. Februar 2025 in wurde in einem Wohngebiet in Bethelsdorp bei Gqeberha (Nelson Mandela Bay Metropolitan Municipality, Südafrika) erschossen. Sein Mörder floh unerkannt. Geboren wurde der tiefgläubige Imam 1967 in einer konservativen muslimischen Coloured-Familie in Kapstadt. Seine Mutter war Lehrerin, sie bereitete Muslima auf die Pilgerreise nach Mekka vor. Sein Großvater war Imam. Ursprünglich waren seine Vorfahren von der Holländisch-Ostindischen Handelskompanie aus Indonesien nach Kapstadt verschleppte Sklav*innen. Mushin betonte in Interviews deren tolerantes Sufi-Erbe. Als schwulem Mann half ihm die relative gesellschaftliche Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten in Teilen der dortigen Coloured-Bevölkerung, die mehrheitlich von importierten Sklav*innen abstammten.
1996 hatte Muhsin Hendricks sein öffentliches Coming Out, seine Familie wusste schon vorher, dass er schwul war. Im gleichen Jahr gründete er in seiner Heimatstadt The Inner Circle, beriet und stärkte queere Muslime spirituell. Er selbst lehrte an Madrassen bzw. Moscheen und unterrichtete Arabisch. Dem ging ein vierjähriges Studium des islamischen Rechts und islamischer Theologie an der konservativen Jamia Dirasat Al-Islamia Universität in Pakistan voraus. 1998 gründete er die homosexuelle muslimische Organisation Al-Fitrah, 2011 die Masjidul Ghurbaah Moschee und 2018 die Al-Ghurbaah Foundation für queere Muslime. Er setzte sich auch für Verfolgte und Asylsuchende aus anderen afrikanischen Ländern ein.
Imam Muhsin Hendricks bezeichnete sich selbst als Maulana, als mitfühlender Beschützer. Aus diesem Selbstverständnis erklärte er inklusive Deutungen des Korans, den er als poetisches Meisterwerk verstand und dessen Suren und Verse er zugleich kenntnisreich historisch kontextualisierte. Immer wieder unterstrich er, im Koran gehe es nicht um eine Verurteilung von sexueller Identität oder Orientierung, die kämen als solche gar nicht vor. Gott hätte alle Menschen so geschaffen, wie sie sind. Diese Überzeugung vermittelte er ratsuchenden queeren Muslimen in Kapstadt und interessierten Gläubigen aus anderen Ländern in mehrtägigen Retreats. Imam Muhsin Hendricks baute auch auf Gespräche mit Andersdenkenden, er lehnte Konfrontationen ab.
Um als Imam anerkannt zu werden, hatte er als 23-Jähriger einer arrangierten heterosexuellen Ehe zugestimmt. Seiner Ehefrau hatte er vor der Hochzeit gesagt, dass er schwul war. Diese Ehe hielt sechs Jahre. Als er später einen schwulen Hindu heiratete, hagelte es Kritik von konservativen Muslimen. Sie empörte auch, dass er Brautpaaren unterschiedlicher Religionszugehörigkeit seinen Segen gab. Konservative Muslime erließen 2022 eine Fatwa gegen ihn.
Der Dokumentarfilm „A Jihad for Love“ (2007) machte Imam Muhsin Hendricks international bekannt. Er setzte sich für den interreligiösen Dialog ein und war Gastredner in mehreren europäischen Ländern, so beim Evangelischen Kirchentag 2019 und 2023; beim diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Hannover steht er am 2. Mai auf der Rednerliste für ein Podium zu "Celebrating Pride and Diversity". Doch seine klugen und ermutigenden Worte werden dort fehlen, denn sein Mörder und mögliche Hintermänner haben ihn für immer zum Schweigen gebracht.
Zu den Trauernden zählen der LSVD+- Verband queere Vielfalt e.V., die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die Muhsin 2012 als Teilnehmer einer Besuchsreise afrikanischer Aktivist*innen nach Berlin einladen konnte und dessen internationalem NGO-Beirat Muhsin zwischen 2007 und 2015 angehörte, sowie zahlreiche Gleichgesinnte in Südafrika und weltweit. Viele stellen klar, dass ihr Einsatz für die Menschenrechte gläubiger sexueller Minderheiten im Sinne des Pioniers Imam Muhsin Hendricks weitergeht, um die Erinnerung an diesen einzigartigen und friedliebenden Menschenfreund zu wahren und seine visionären Ideale auch unter schwierigen Bedingungen zu verbreiten.
Rita Schäfer
Zitat von Imam Muhsin Hendrick nach der von der HES organisierten Besuchsreise 2012:
„Ich bin der Hirschfeld-Eddy-Stiftung sehr dankbar für die Einladung zu dieser Informationsreise. Ich habe von dieser Erfahrung mehr gelernt, als ich erwartet hatte. Ich bin voller neuer Hoffnungen und habe die Vision, dass die Religion eine positive Rolle bei der Bekämpfung von Homophobie in Afrika und weltweit spielen kann.“ (Muhsin Hendricks, Kapstadt, The Inner Circle)
https://blog.lsvd.de/inspirierende-reise-und-wertvolle-investition/