Es ist unsere Welt

Nash Mir setzt sich in der Ukraine für Homorechte ein

von Klaus Jetz

 

Nash Mir, unsere Welt, heißt der Lesben- und Schwulenverband der Ukraine mit Sitz in Kiew. Die Ursprünge von Nash Mir aber liegen in Luhansk, im Osten des Landes, wo 1997 das gleichnamige schwullesbische Magazin aus der Taufe gehoben wurde (http://gay.org.ua/about/index-e.htm). Ein Jahr später fand dann die Gruppengründung statt, Ende 1999 wurde der Verein eingetragen, und aus dem Print-Magazin Nash Mir wurde das Magazin Gay.Ua.

Dieses alle zwei Monate erscheinende Magazin mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren versteht sich als der beste schwullesbische Guide der Ukraine und thematisiert Erotisches und Lifestyle sowie lesben- und schwulenpolitische Fragen. Im Februar eröffnete der Generalstaatsanwalt gegen die Redaktion von gay.ua ein Strafverfahren wegen der Verbreitung von Pornographie. ILGA und IGLHRC verurteilten dieses Vorgehen in einem Protestbrief u.a. an Präsident Juschtschenko als Angriff auf die Pressefreiheit (http://gay.org.ua/gayua/ukraineletter.pdf). Seither ruht die Arbeit an dem Magazin.

Der Koordinator von Nash Mir, Andriy Maymulakhin, ist auch zuständig für die internationalen Beziehungen der Organisation, deren Ziele er wie folgt umreißt: „Uns geht es vor allem um die Verteidigung der Menschenrechte und Freiheiten von Homosexuellen, mehr rechtlichen Schutz auf nationaler Ebene sowie den Abbau von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der Ukraine. Die Einstellung der Gesellschaft zur Homosexualität muss sich ändern, die Homophobie muss aus den Köpfen raus. Und Lesben und Schwule müssen ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickeln, müssen sich als gleiche und vollwertige Mitglieder der Gesellschaft fühlen können.“

Auch wenn es zunächst Probleme gab, weil die Justizbehörden aus fadenscheinigen Gründen eine Registrierung und rechtliche Anerkennung als Lesben- und Schwulenverband schlichtweg verweigern wollten, können die drei Mitarbeiter und rund 70 ehrenamtlichen Unterstützerinnen und Unterstützer heute auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken. „Nash Mir ist schnell gewachsen und hat alle Stadien von einer Graswurzelgruppe hin zu einer großen und landesweiten Lesben- und Schwulenorganisation durchlaufen. Irgendwann stießen wir an unsere Grenzen und beschlossen dann, unsere Energien zu bündeln und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.“

Seit 2006 ist Nash Mir vor allem in drei Arbeitsbereichen aktiv: Information und Unterstützung der lesbisch-schwulen Community, Akzeptanzarbeit und die Sammlung von Daten zu Lesben und Schwulen in der Ukraine. Seither gibt es den Internetauftritt www.gay.org.ua, es finden Fortbildungen und Trainingsveranstaltungen zu rechtlichen und sozialen Fragen statt, und Diskriminierungsopfer erhalten bei Nash Mir Rechtsberatung. In den letzten Jahren organisierte Nash Mir mehrere Seminare und auch drei internationale Konferenzen.

Staatlichen Behörden und Menschenrechtsorganisationen stellt Nash Mir Dokumentationen und Datensammlungen zur Situation von Lesben und Schwulen zur Verfügung. Sie sollen auch künftig die Seriosität der Lobbyarbeit untermauern. Um, wie Andriy sich ausdrückt, „die öffentliche Meinung zu modernisieren“, arbeitet Nash Mir eng mit den Massenmedien zusammen. Ziele sind hierbei die Beförderung der Diskussion rund um das Thema gleiche Rechte für Lesben und Schwule sowie die Steigerung von Toleranz und Akzeptanz.

Dies ist auch dringend geboten. Eine im letzten Jahr von Nash Mir in Auftrag gegebene landesweite Umfrage zum Thema gleiche Rechte für Lesben und Schwule hat gezeigt, dass die Ablehnung zugenommen hat. Eine ähnliche Umfrage hatte es bereits 2002 gegeben. Ein Vergleich der Ergebnisse macht deutlich, dass in nur fünf Jahren die Zahl der Menschen, die sich für eine Gleichstellung aussprechen, von 42,5 % auf 34,1 % zurückgegangen ist. 2002 sprachen sich noch 18,8 % der Befragten dafür aus, dass homosexuelle Bürgerinnen und Bürger ihre Partnerschaft registrieren lassen können. 2007 waren es nur noch 15,8 %. Und die Zahl derjenigen, die Lesben und Schwulen ein Sorgerecht für Kinder zusprechen wollen, sank von 21,5 % auf 17,1 %.

Andriy berichtet zudem, dass Nash Mir 2005 mehr als 900 Lesben und Schwule aus der Ukraine befragte, um statistische Informationen und Angaben über Diskriminierungen und Gewalterfahrungen von Homosexuellen zu erhalten. 54,4 % der Befragten gaben an, Vorurteile und Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung erlitten zu haben. Und bei denjenigen, die ihre Sexualität nicht verstecken, stieg der Prozentsatz gar auf über 76 %.

Nash Mirs lesenswerter Bericht „Ukranian Homosexuals & Society“ aus dem vergangenen Jahr thematisiert die öffentliche Meinung zu Lesben und Schwulen, Sichtweisen der Politik und die Medienberichterstattung sowie die Lesben- und Schwulenbewegung im Land. Herzstück des Berichts ist das Kapitel zur rechtlichen Situation, die alle relevanten Bereiche abdeckt. Der Bericht findet sich unter www.gay.org.ua/2007/.

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung wird mithelfen, die Grundlagen für eine langfristig erfolgreiche Arbeit gegen Homophobie und Diskriminierung in der Ukraine zu schaffen. Dazu wird in Zusammenarbeit mit Nash Mir und der ukrainischen Sektion von amnesty international zum Jahresende ein Grundlagen-Kongress zum Thema Menschenrechte, homosexuelle Lebensweisen und Homophobie durchgeführt. Unterstützt wird das Vorhaben von der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ sowie von dem Kiewer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung.

 

 

Dieser Text erschien zuerst in respekt! Zeitschrift für Lesben- und Schwulenpolitik vom Juli 2008.