Intersektionalität ist kein Synonym für Vielfalt

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Der Ansatz der Intersektionalität, der Schutz der Rechte und die Lehren, die aus der Pandemie gezogen werden, waren zentrale Themen bei einer hochrangigen Online-Veranstaltung der UN LGBTI Core Group während der 75. UN-Generalversammlung Ende September 2020.

„Während alle LGBTI-Personen Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, erleben wir Diskriminierung und Gewalt nicht in der gleichen Weise“, sagte Jessica Stern bei der Eröffnung der hochrangigen Veranstaltung der UN-LGBTI Core Group während der 75. Sitzung der UN-Generalversammlung Ende September 2020. Die LGBTI-Core Group der Vereinten Nationen ist eine informelle Gruppe von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die 2008 gegründet wurde und der Deutschland von Anfang an angehört. (» Siehe Infobox)

Jessica Stern
Jessica Stern © Outright Action International

Jessica Stern, die Geschäftsführerin von Outright Action International moderierte den Side-Event mit dem Titel „Building back better — How to Create a Virtuous Circle for the Inclusion of All LGBTI Persons“ (Besser neu aufbauen — Wie klappt eine Integration aller LGBTI Menschen), an dem zahlreiche Botschafter*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt teilnahmen. Sie verwies zu Beginn auf das Konzept der Intersektionalität von Kimberley Crenshaw als wesentliches Analysewerkzeug um zu verstehen, wie die verletzbarsten Gemeinschaften während der Covid-19 Pandemie erreicht und wie LGBTI-Rechte sinnvoll und substanziell vorangebracht werden können. Stern mahnte an, dass es nicht reiche, das Akronym „LGBTI“ einfach zu integrieren, sondern „LGBTI-Rechte müssten im UN System durchgängig berücksichtigt werden!“

Strukturelle Ungleichheiten während Covid-19

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, eröffnete die Diskussion, indem sie die strukturellen Ungleichheiten ansprach, die die COVID-19-Pandemie aufgedeckt und verschärft haben. “Eine der wichtigsten Lehren aus COVID-19 ist, dass das Versäumnis, eine Community zu schützen, ein Versäumnis darstellt, uns alle zu schützen”, sagte die Hochkommissarin im Hinblick auf die steigenden Raten von Obdachlosigkeit, Diskriminierung und Gewalt als Folge der Pandemie. Sie empfahl das Kompendium der UN mit bewährten Praxisbeispielen oder die „Free & equal“ Kampagne als Werkzeuge dafür zu nutzen, um sicherzustellen, „dass LGBTI-Personen sinnvoll an der Gestaltung von Politiken mitwirken können, um auf die vielfältigen und sich überschneidenden Formen der Diskriminierung zu reagieren“.

Intersektionalität ist nicht Diversität

TN LGBTI Core Group heart © Outright Action International

Auch die weiteren Redner*innen der Zivilgesellschaft nahmen auf Intersektionalität Bezug. So etwa Shamim Salin, die von ihren Erfahrungen als queere Muslima und Aktivistin in Kenia berichtete oder Ronald Céspedes aus Bolivien, der über die Verschränkung der Kämpfe für indigene und LGBTI Rechte sprach. „Wir dürfen Intersektionalität nicht mit Diversität verwechseln. Intersektionalität ist weder ein Schlagwort noch ein Synonym für Vielfalt“, betonte die dritte Rednerin Phyll Opoku-Gyimah. Sie ist Geschäftsführerin des Kaleidoscope International Trust, eines UK-basierten Förderinstituts für LGBTI Rechte, sowie Co-Gründerin und Direktorin von UK Black Pride.

Phyll Opoku
Phyll Opoku © Outright Action International

„Intersektionalität beschreibt die multiplen Formen der Unterdrückung, die sich bei bereits marginalisierten Menschen überlappen.“ Sie fuhr fort, dass Diskriminierung oft in Versklavung, Kolonisierung, Patriarchat, Macht, Privilegien und weißer Vorherrschaft wurzelt und darauf zurückgeführt werden könne. „Es war die Unfähigkeit, Schwarze Frauen, Schwarze trans Frauen als Menschen anzuerkennen, die Leben, Freiheit und Würde verdienen, die den Schutz der Befreiung anderer marginalisierter Gruppen wie Migrant*innen und Flüchtlinge verhindert.“ Opoku-Gyimah appellierte an die Entscheidungsträger*innen, Worten über LGBTI-Rechte dringend Taten folgen zu lassen.

Michelle MünteferingAnerkennung der Menschenrechte ist wesentlich

Michelle Müntefering © Outright Action International

„Der Kampf um Gleichberechtigung und Menschenrechte sind keine Fußnote in der Politik. Die Anerkennung der Menschenrechte gehört zu den wesentlichsten Fortschritten in der Geschichte der Menschheit“, sagte Michelle Müntefering, Staatsministerin im deutschen Außenministerium. „Es ist entscheidend, sie durchzusetzen, und es ist möglich”. Sie verwies auf das dieses Jahr vom Bundestag verabschiedete Verbot sogenannter Konversionstherapien und auf ein geplantes modernes Familiengesetz, das die Rechte von lesbischen Müttern stärken soll.

Eamon Gilmore
Eamon Gilmore © Outright Action International

Eamon Gilmore ist Sonderbeauftragter der EU für Menschenrechte seit März 2019. Er nahm Bezug auf die Rede der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese hatte kürzlich von einer „Union der Gleichberechtigung“ gesprochen, einer „EU, in der man sein kann, wer man ist, und lieben kann, wen man will, ohne Angst vor Beschuldigungen oder Diskriminierungen“.
Das Prinzip der Intersektionalität durchziehe zahlreiche EU Politiken wie die EU Gender Equality Strategie, den Aktionsplan zu Integration und Inklusion und den strategischen Rahmen zu Behinderung, LGBTI+, Roma-Inklusion und Kinderrechte. „Die EU erneuert jetzt ihren innenpolitischen Rahmen zur Gleichstellung. Bis Ende dieses Jahres wird die allererste LGBTI+-Gleichstellungsstrategie verabschiedet“, sagte Gilmore. „Eines ihrer Hauptziele wird es sein, das LGBTI+-Gleichstellungs-Mainstreaming in anderen Politikbereichen zu fördern.“

TN LGBTI Core Group heart © Outright Action International

Weitere internationale Redner*innen folgten wie die Spanische Staatsministerin im Außenministerium, Cristina Gallach, die von der Neugründung eines LGBTI Councils berichtete, der im Spanischen Gleichstellungsministerium angelegt sein wird. Der Council soll Vorschläge zu LGBTI Politik analysieren und kanalisieren, sowie jährlich eine Studie zur aktuellen Situation der LGBTI Politik herausgeben. Nach zwei Stunden beendete Jessica Stern die mit etwa 300 virtuellen Teilnehmenden sehr erfolgreiche Veranstaltung.


Bericht: Caroline Ausserer*

* Caroline Ausserer ist freie Journalistin, Moderatorin und Diversity Trainerin und. Mehr zu ihr:www.presspectives.net

Alle Artikel zum Projekt „Internationale Menschenrechtsdebatten vermitteln - Information und Partizipation aus LSBTI-Perspektive” finden Sie auch im LSVD-Blog unter dem Tag » HR 2020.
 

BMJV
 



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UN LGBTI Core Group High Level Event: "Building Back Better"
Record by OutRight Action International, published on Facebook

Info-Box: Was ist die UN LGBTI Core Group?

Die LGBTI-Core Group der Vereinten Nationen ist eine informelle Gruppe von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Das übergreifende Ziel ist es, im Rahmen der Vereinten Nationen daran zu arbeiten, die universelle Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle, insbesondere für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LGBTI) Personen, zu gewährleisten, mit besonderem Schwerpunkt auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung.

Deutschland war seit Anfang an mit dabei. Beitreten ist für ein Land aus dem Norden nur mit einem Partnerland aus dem Süden möglich. Die Gruppe wird gemeinsam von Argentinien und den Niederlanden geleitet und umfasst aktuell 31 Mitgliedstaaten, plus die Europäische Union (als Beobachter) sowie das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und die Nichtregierungsorganisationen Human Rights Watch und OutRight Action International (Sekretariat).

Mitgliedstaaten sind: Albanien, Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Cabo Verde, Chile, Costa Rica, Deutschland, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Großbritannien, Island, Israel, Italien, Japan, Luxemburg, Mexiko, Montenegro, Nepal, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Spanien, Schweden, Uruguay und USA.

Mehr Information: https://unlgbticoregroup.org