Webtalk: Die Zerschlagung der LGBTIQ-Community per Gesetz und die Rolle der religiösen Anführer in Ghana
Dokumentation des Web-Talks am 3. Dezember 2021: Crackdown on LGBTI in Ghana – a focus on religion
Einladung Invitation (english)
Seit Juni 2021 liegt dem ghanaischen Parlament ein Gesetz vor. Ein Gesetz, das Menschen der LGBTIQ-Community diskriminieren, jene Personen aus der Gesellschaft ausschließen und ihre sexuelle Orientierung kriminalisieren soll. Bereits im Januar 2021 kam es nach der Eröffnung eines Zentrums für LGBTIQ in Accra zu Übergriffen der Polizei: Im Mai wurden in der Region Obervolta 21 Personen festgenommen, die an einem Training zu den Rechten von intergeschlechtlichen Menschen und LGBT insgesamt teilgenommen hatten.
Zuvor hatten sich nicht nur Mitglieder des Parlamentes, sondern auch ghanaischen Medienhäuser für die Festnahme und Verfolgung von LGBTIQ ausgesprochen. Darüber hinaus unterstützen auch religiöse Anführer unter anderem die Anglikanischen Kirche, die römisch-katholische Bischofskonferenz sowie der christliche Rat das homosexuellenfeindliche Gesetz. Vor allem ihre Meinung prägt jedoch das Denken und Handeln der Gesellschaft im Land. Dass keine Verbesserung der Lage von LGBTIQ in Ghana zu verzeichnen ist, liegt den Mitgliedern des Interfaith Diversity Network of West Africa IDNOWA-Mitgliedern zufolge vor allem an fehlender Bildung.
Einen Einblick in das Leben der LGBTIQ in Ghana gaben die Aktivist*innen Davis Mac-Iyalla, Lawrence Shone Edem Adjei und Arthur Joseph von IDNOWA in einem Onlinetalk mit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, den der Journalist Dirk Ludigs am 03.12.2021 moderierte. Als Mitglieder des westafrikanischen Netzwerks kämpfen sie seit Monaten dafür, dass das im Parlament vorgestellte Gesetz, das unter anderem einen direkten Einfluss auf die in einer ghanaischen Familie geteilten und gelebten Werte haben soll, nicht verabschiedet wird. „Dieses Gesetz ist das menschenverachtendste Gesetz, das ich je gesehen habe“, zeigte sich Mac-Iyalla, Gründer und Direktor von IDNOWA, besorgt. Das Gesetz mit dem Namen „Promotion of Proper Human Sexual Rights and Ghanaian Families, 2021“ richte sich nicht nur gegen LGBTIQ, sondern auch gegen die Menschlichkeit, gegen den christlichen Glauben und die Religion im Allgemeinen.
Lawrence Shone Edem Adjei ist eine der Personen, die im Mai 2021 festgenommen wurde. 21 Tage saß Shone in Haft. „Es war wirklich beängstigend – vor allem, weil wir nicht wussten, was wir gemacht hatten und warum man uns dort festhielt“, erinnerte Shone sich im Gespräch mit dem Moderator Ludigs. Im Webtalk berichtete Shone nicht nur von Angst und Unsicherheit, sondern auch von Menschenrechtsverletzungen während der Haft: „Die Polizei gab uns weder etwas zu essen noch etwas zu trinken. Decken gab es auch nicht genug. Zum Glück waren dort aber Menschen, die sich für uns einsetzten und sich um uns kümmerten.“
Ein halbes Jahr nach jenen Festnahmen habe sich die Situation der LGBTIQ-Community in Ghana nicht verbessert. „Ganz im Gegenteil: Die Situation verschlimmert sich zunehmend“, sagte Arthur Joseph. Der Community anzugehören, werde immer weiter kriminalisiert. „Besonders betroffen von der gesetzlichen Diskriminierung sind Inter*“, sagte Mac-Iyalla. Geschlechtsangleichungen würden beispielsweise hart bestraft. Außerdem werde das Umfeld von LGBTIQ, beispielsweise Eltern oder Gläubige, zur Denunziation von Personen aus der Community angehalten.
Für ein Umdenken fehlt vor allem Bildung
Religiöse Führer des Christentums und des Islams, die in Ghana hauptsächlich vertretenen Glaubensrichtungen, unterstützen das Gesetz zwar offiziell. „Es gibt allerdings einige Vertreter*innen der Religionen, die das nur offiziell tun, hinter den Kulissen hören sie uns aber zu und wollen nicht akzeptieren, dass die Polizei so eingreift, wie sie es beispielsweise im Mai getan hat“, so Mac-Iyalla. Was jedoch ihre offizielle Unterstützung des Gesetzes im Parlament für die LGBTIQ-Community bedeute, sei den Geistlichen oft nicht bewusst. „Das große Problem ist, dass sie nicht viel über uns und unsere Bewegung wissen. Und noch weniger wissen sie über die Auswirkungen, die ein solches Gesetz hat. Viele von ihnen haben das Gesetz nicht einmal gelesen“, sagte Mac-Iyalla. Dabei seien vor allem die Chiefs, die traditionellen Anführer entscheidend für den Umgang und die Lage der LGBTIQ in Ghana. „Bei uns sind genau sie es, die bestimmen, welche Werte im Miteinander gelebt werden. Sie bestimmen den Umgang mit gesellschaftlichen Gruppen“, erklärte Mac-Iyalla weiter. Darüber hinaus fungierten sie wie eine Art Gatekeeper. Vor allem seien es deshalb sie, die über den Umgang mit LGBTIQ entscheiden würden – nicht das Parlament. Deshalb sei es wichtig, die traditionellen Anführer über das im Parlament vorliegende Gesetz und dessen Auswirkungen auf die LGBTIQ-Community sowie auf die gesamte Gesellschaft Ghanas aufzuklären. „Diese Lücke versuchen wir mit unserer Arbeit bei IDNOWA zu füllen“, so Mac-Iyalla.
Um diese Bildungslücke zu füllen und dem negativen Narrativ über die LGBTIQ-Community entgegenzuwirken, fehlten jedoch die notwendigen Mittel, die bei IDNOWA im Vergleich zu anderen Netzwerken eher gering seien. „Wir müssen den Menschen klar machen, dass es nicht schlimm ist ein Teil der LGBTIQ-Community zu sein. Dazu könnten wir beispielsweise Informationsmaterial gebrauchen, das zur Aufklärung dient“, so der IDNOWA-Gründer Mac-Iyalla. Sein Mitstreiter Lawrence Shone Edem Adjei ergänzt: „Dabei darf das Material aber nicht zu westlich aussehen. Es muss von uns in Ghana produziert werden. Das heißt, es muss in die unterschiedlichen Dialekte übersetzt werden und an gängige Ausspielwege, wie WhatsApp oder Facebook, angepasst werden.“
Durch Bildung und Aufklärung und einem daraus resultierenden Umdenken in der Gesellschaft solle ermöglicht werden, dass Mitglieder der ghanaischen LGBTIQ-Community zukünftig ohne Angst leben können. Dies sei zurzeit anders: „In ghanaischen Familien spielen die von der Kirche vorgegebenen Werte eine entscheidende Rolle. Weicht ein Familienmitglied von diesen Werten ab, ist man anders als der Rest, wird das gleich zu einem Problem für die gesamte Familie. Deshalb ist ein Coming-out für LGBTIQ bei uns momentan nicht einfach so möglich“, schilderte Arthur Joseph.
Die Diskriminierung und Kriminalisierung von LGBTIQ stehe den Berichten der Aktivist*innen zufolge jedoch im Gegensatz zu der ghanaischen Lebensrealität: „Es gibt Männer, die mit Männern schlafen und Frauen, die mit Frauen schlafen. Und in der Gesellschaft, abgesehen von diesem Gesetz, das nun verabschiedet werden könnte, herrscht Akzeptanz und Offenheit unter den Menschen“, so Arthur Joseph. Josephs Familie sei dafür das beste Beispiel, ergänzt Mac-Iyalla: „Seine Mutter weiß um seine Situation und unterstützt ihn. Sie ist Mitglied in unserem Netzwerk. Ihren Sohn betrachtet sie als gottgegeben, deshalb unterstützt sie ihn bedingungslos. Das gibt es auch.“
Überzeugen von einer Realität, die es längst gibt
Um die Menschen in Ghana, vor allem Geistliche und Politiker*innen, davon zu überzeugen, die LGBTIQ-Community nicht auszuschließen, sondern sie in der Mitte der Gesellschaft aufzunehmen, brauche es außerdem – so sind sich die Aktivist*innen einig – die Unterstützung der internationalen LGBTIQ-Community. „Im Austausch mit anderen Ländern können wir zum Beispiel von Deutschland viel lernen, denn hier ist man schon einige Schritte weiter als wir es in Ghana sind“, sagte Mac-Iyalla. So könnten Wege aufgezeigt werden, wie die Aktivist*innen von IDNOWA überzeugend an der politischen und gesellschaftlichen Debatte teilnehmen können, um so eine Verabschiedung des Gesetzes noch verhindern zu können. „Ob das Gesetz verabschiedet wird oder nicht ist jedoch auf keinen Fall das Ende unseres Kampfes“, zeigte sich Mac-Iyalla kämpferisch. Auch Arthur Joseph ist entschlossen: „Wir kämpfen weiter, bis wir all das erreicht haben, was wir erreichen wollen.“
Inga Jahn
Weiterführende Links:
- Alle Blog-Artikel zum Projekt unter dem Tag MRV-2021
Der Online-Talk fand im Rahmen des Projekts der Hirschfeld-Eddy-Stiftung “LGBTIQ-Menschenrechtsverteidiger*innen” statt. Alle Blog-Artikel zum Projekt unter dem Tag MRV-2021.