LSBTI-Inklusion in der Entwicklungszusammenarbeit — Aktionspläne aus Schweden und Kanada als Vorbild für Deutschland

Invitation 
Article (in English)

Online Talk mit Expert*innen aus Schweden und Kanada

Am 12. Mai 2021 führte die Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) einen Online Talk zum Thema LSBTI-Inklusion in Schwedens und Kanadas Entwicklungszusammenarbeit (EZ) durch. Die Veranstaltung wurde von Sarah Kohrt moderiert. Aus Schweden nahmen Birgitta Weibahr von der Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit Sida und Marie Månson vom Verband für LSBTI-Rechte RFSL teil. Doug Kerr, Geschäftsführer des Dignity Network Canada, einem Netzwerk kanadischer Organisationen, die zu LSBTI und Menschenrechten arbeiten, lieferte Informationen aus kanadischer Perspektive.

Erfahrungen aus Schweden und Kanada nutzen!

Panel

Am 3. März hatte das Bundeskabinett nach Jahre langer zivilgesellschaftlicher Überzeugungsarbeit des LSVD, der HES und der Yogyakarta-Allianz u.a. endlich das „LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und die Entwicklungszusammenarbeit“ verabschiedet. Im Online Talk zu den Erfahrungen aus Schweden und Kanada drehte sich folglich alles um Ziele, Inhalte, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Herausforderungen und Perspektiven in Bezug auf die LSBTI-Inklusion in der EZ. Wie ist es den Kolleg*innen gelungen, die jeweiligen Erfolge durch- und umzusetzen, was beinhalten sie, welche Hürden gab es und wie wird die Umsetzung ausgewertet? Dies waren die Fragen, die uns im Hinblick auf das deutsche Inklusionskonzept, dessen Umsetzung und Auswertung besonders interessierten.

Sarah Kohrt &  Birgitta Weihbar

Birgitta Weibahr erläuterte, dass LSBTI-Projekte in der schwedischen EZ bis 2005 kaum eine Rolle spielten. Allenfalls in der HIV-Präventionsarbeit wurden LSBTI in einigen Projekten berücksichtigt. Das änderte sich ab 2005, als dank intensiver Überzeugungsarbeit durch die Zivilgesellschaft, insbesondere auch seitens RFSL, über das Thema diskutiert wurde. 2007 dann, als der Inklusionsplan in Kraft trat, war dies ein Meilenstein in der schwedischen EZ.

2007: LSBTI-Inklusion in der schwedischen EZ

Marie Manson

RFSL

Allen Beteiligten war klar, dass es sich um ein Menschenrechts- und Demokratiethema handelte und dass sich die Debatte um das Problem der mangelnden Sichtbarkeit von LSBTI in der EZdrehen musste. Instrumente zur Erhöhung der Sichtbarkeit mussten her: Zum einen war der menschenrechtliche Ansatz zielführend, der Gedanke, dass es sich bei LSBTI-Rechten um Menschenrechte handelt, die unteilbar und universell sind, weshalb die EZ auch LSBTI-Projekte im Blick haben und fördern muss. Zum anderen war eine multidimensionale Armutsanalyse hilfreich, die den Mangel an Ressourcen, Chancengleichheit und Sicherheit sowie die ungerechten Machtstrukturen offenlegte.

Sida führte Workshops und Trainings für mehr LSBTI-Sichtbarkeit durch. Die Aktivitäten waren Teil eines „Aktionsplan zu Sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in der EZ“, der für mehr Institutionalisierung bei der  Unterstützung für LSBTI Personen sorgte. Die Ergebnisse einer 2014 durchgeführten Studie zu Sidas Arbeit mit LSBTI seien heute noch gültig. Die Unterstützung für LSBTI-Programme und Partnerorganisationen habe massiv zugenommen. Heute würden Maßnahmen in den Bereichen Advocacyarbeit, Schutz und Sicherheit, Kapazitätsaufbau, Aufbau und Stärkung sozialer Bewegungen durchgeführt, so Weibahr. Zentrale Faktoren für diesen Erfolg seien Offenheit, Einbindung und Engagement hochkarätiger Politiker*innen, engagiertes Personal in der EZ, ein umfassender Dialog über LSBTI-Themen in der EZ, ein umfassender Dialog über LSBTI-Themen in der EZ, die Verantwortung lokaler Aktivist*innen und NGOs für Programme und Ziele, die auch von den Botschaften eingeladen und angehört werden. Unterstützung für die Vernetzung lokaler Aktivist*innen mit globalen Akteur*innen war und ist sehr wichtig.

2019: Kanadisches LSBTI-Programm

Doug Kerr

Doug Kerr führte aus, dass das Dignity Network Canada(DNC), ein Zusammenschluss von über 40 NGOs, 2015, nach dem Regierungswechsel und dem Antritt der liberalen Regierung Trudeau, seine Arbeit aufnahm. Die Zahlen waren ernüchternd: Mit gerade einmal zwei Millionen kanadischen Dollar förderte die staatliche EZ in LSBTI-Projekte. Damals ließen sich die Kolleg*innen vom schwedischen oder niederländischen Modell inspirieren, weil dort weitaus mehr Mittel flossen. Sie fragten sich, welche Rolle ihre Regierung spielen sollte bei der Unterstützung von LSBTI in aller Welt, im Hinblick auf die Außenpolitik, EZ und Hilfe für Geflüchtete. Sie forderten eine intersektionale Perspektive und einen LSBTI inklusiven Blick in den kanadischen Außenbeziehungen.

Dignity Network

Im Februar 2019 kündigte die Regierung Trudeau an, über 30 Millionen kanadische Dollar (mehr als 20 Mio. Euro) für ein Programm zur Stärkung der Menschenrechte von LSBTI über einen Zeitraum von fünf Jahren im Haushalt einzustellen. Die zentralen Bestandteile des Programms sind ein „kanadisches Fenster“ mit 16,7 Mio. Dollar über sechs Jahre, ein „globales Fenster“ mit 5 Mio. Dollar über fünf Jahre und ein „geografisches Fenster“ mit 15 Mio. Dollar über fünf Jahre. Das „Global Window“ unterstützt Forschungsprojekte und Studien und leistet einen Beitrag zu multilateralen Foren, während das „Geographic Window“ unmittelbar Netzwerke im Globalen Süden unterstützt. Die drei Säulen stellten ein Praxis- und Lernnetzwerk aus Regierungsvertreter*innen und NGO-Aktivist*innen dar, so Kerr.

 Starten aber werden die Kolleg*innen mit dem „Canadian Window“, das aus einem neuen „Act Together for Inclusion Fund” (ACTIF) besteht, den DNC und die 1967 gegründete Organisation für Menschenrechtsbildung Equitas verwalten. Erste Bewilligungen erfolgen im Juli 2021, die Auswahl der Projekte erfolgt über ein beratendes Gremium und ein Auswahlkomitee, die auch mit Aktivist*innen aus dem Globalen Süden besetzt sind. Über das Finanzvolumen des LSBTI-Programmes hinaus brauche es aber eine Strategie, die LSBTI in der EZ nachhaltig verankere, und natürlich führende Politiker*innen, die sich das Thema zu Eigen machten. Eine große Herausforderung werde darin bestehen, so Kerr, eine übergreifende Strategie zu entwickeln, die Außenpolitik, EZ und die Arbeit der Botschaften zusammenführt und die Arbeit nach Kanada zurückspiegelt, um im Inland die Menschenrechte von LSBTI zu stärken, ein Kohärenzvorhaben also, bei dem das deutsche Modell hilfreich sein werde.

Erfolgreiche Überzeugungsarbeit durch RFSL in Schweden

Marie Månson erläuterte die Rolle, die RFSL bei der Ausarbeitung und Umsetzung des schwedischen Inklusionsplanes spielte und noch immer spielt. 2006 arbeiteten Sida und RFSL eng zusammen, als der Inklusionsplan erarbeitet wurde. Einige Sida-Mitarbeitende hatten sich für das Vorhaben stark gemacht, RFSL sorgte für die Rückkopplung in die Zivilgesellschaft und brachte Expertise und konkrete Ideen mit ein. RFSL ist die zweitälteste LSBTI-Organisation Europas, verfügt über ein Jahresbudget von drei Mio. Euro und zählt zwölf Mitarbeitende in der Abteilung für internationale Arbeit. Die leisten Lobbyarbeit auf UN-Ebene, führen Trainings für LSBTI-Aktivist*innen aus aller Welt durch oder kümmern sich um die Weiterleitung von Projektmitteln an Partnerorganisationen.

Diese Vermittlerrolle ist insofern entscheidend, als viele Partner*innen mit Fragen der internationalen Finanzierung und Programmplanung nicht sehr vertraut seien. So könne RFSL in einer Weise vermitteln und schulen, wie es für eine größere Entwicklungsagentur schwierig wäre. RFSL bringt als Peer-Organisation zudem Verständnis und Einfühlungsvermögen für die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen LSBTI-Gemeinschaften mit.

In informellen Treffen könne man so in Bezug auf LSBTI und Sprache sensibilisieren, dafür sorgen, dass Strategien und Politiken immer LSBTI inklusiv sind. RFSL hat die geballte Expertise gebündelt und Richtlinien für die EZ formuliert („Guiding Principles on the Inclusion of Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, and Intersex (LGBTI) People in Development Policy and Programs“). Marie Månson spricht sich dafür aus, eine systematische aktuelle Evaluierung des schwedischen Inklusionsplanes vorzunehmen, um neue Einblicke zu erhalten, wie die Inklusion von LSBTI in die EZ heute funktioniert. Sehr wichtig sei es, auch bei der humanitären Hilfe für LSBTI-Inklusion zu sorgen. Sie freue sich, dass im deutschen Inklusionskonzept dieser wichtige Aspekt berücksichtigt ist.

2021: Vorbildliches Wording im deutschen Inklusionskonzept nutzen!

LSBTIQ Inklusionskonzept

Alle drei Expert*innen sind sich einig, dass es immens wichtig ist, hochkarätige Politiker*innen und die Mitarbeitenden in den Ministerien zu identifizieren, die sich das Thema LSBTI-Inklusion zu Eigen machen und offen dafür eintreten. Diese Kontakte gelte es zu hegen und zu pflegen. Ihre proaktive Rolle sei unerlässlich für den Erfolg. Hinzu kommen der offene Dialog und Austausch zwischen den verschiedenen Partner*innen, gegenseitiger Respekt und auch geeignete Formate für den regelmäßigen, nachhaltigen Austausch, die gefunden werden müssen. Es sei wichtig, das deutsche Inklusionskonzept mit seinem starken und vorbildlichen Wording nunmehr zu nutzen, um mehr Mittel für LSBTI-Projekte zu ermöglichen. Es gelte, gute Möglichkeiten der Projektförderung und auch thematische oder geografische Lücken zu identifizieren, sich dort zu engagieren, wo Hilfe am meisten gebraucht wird. Und dies immer in enger Absprache mit den Aktivist*innen vor Ort. Marie Månson spricht sich dafür aus, die UN-Nachhaltigkeitsziele und deren Wording zu nutzen, gerade auch als Türöffner für die Politik. Denn dieses Rahmenwerk und das Versprechen, niemanden zurückzulassen, seien besonders gut geeignet, Vertreter*innen der staatlichen EZ zu erreichen und zu überzeugen.

Klaus Jetz
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Links:

 

Eine Veranstaltung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung im Rahmen des Projekts “LSBTI-Menschenrechtsverteidiger*innen”

 

Zurück zur Projektübersicht