UN-Menschenrechtsrat und LSBTI*
Dr. Silke Voß-Kyeck über die Arbeit im UN-Menschenrechtsrat
Im Rahmen des Projektes „Internationale Menschenrechtsdebatten nach Deutschland vermitteln“ informierte am 28. Juli Dr. Silke Voß-Kyeck in einem Web-Talk mit Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung über die Arbeit, Geschichte und aktuelle Debatten des UN-Menschenrechtsrates (Human Rights Council HRC) in Genf.
Voß-Kyeck ist promovierte Politologin und arbeitete viele Jahre bei Amnesty International Deutschland, bevor sie 2019 für den Dachverband "Forum Menschenrechte" HRC-Berichterstatterin oder einfach „unsere Frau in Genf“ wurde.
Zivilgesellschaft mischt mit
Der HCR zählt 47 Mitgliedstaaten und wurde in seiner heutigen Form 2006 gegründet. Er tagt zehn Wochen im Jahr, kann aber auch Sondersitzungen zu aktuellen Themen und Ereignissen einberufen. Auch Deutschland ist zurzeit Mitglied, zeitgleich zur Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Mitglieder werden seit 2006 für drei Jahre gewählt und können einmal wiedergewählt werden, um eine dauerhafte Mitgliedschaft auszuschließen. Über 5.000 Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt haben Beraterstatus beim HRC und mithin die Möglichkeit, im runden Plenarsaal kurze Redebeiträge anzumelden, Stellungnahmen einzureichen oder auch im Gebäudekomplex des ehemaligen Völkerbunds in Genf Side Events zu organisieren, die Corona bedingt zurzeit nur online stattfinden können.
LSVD mit Beraterstatus
Referentin Silke Voss Kyeck
Auch der LSVD hat diesen Beraterstatus, reicht immer wieder Stellungnahmen ein und hat auch schon von der Möglichkeit, vor Ort dabei zu sein und zu Wort zu melden, Gebrauch gemacht. Weitere Menschenrechtsorganisationen aus Deutschland, die dies im Bündnis mit anderen oder über internationale Netzwerke regelmäßig tun, sind etwa Amnesty, Fian, Human Rights Watch, Terre des Hommes, Brot für die Welt oder das Forum Menschenrechte.
Moderatorin Sarah Kohrt
Diese Beteiligung der Zivilgesellschaft ist einzigartig für UN-Gremien, hebt SilkeVoß-Kyeck hervor. Grundlage dafür ist die Resolution 1996/31 des UN-Wirtschafts- und Sozialrates ECOSOC, ein Prinzip, das 2006 im neuen HRC gewahrt werden konnte. Detailliert legt die Resolution fest, wie Organisationen den Beraterstatus bekommen können, ein umfassendes, kompliziertes Procedere, das auch der LSVD 2006 erfolgreich durchlief. Langer Atem zahlt sich aus.
Side Events
Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Silke Voß-Kyeck zeigt in ihrer Präsentation auch ein Foto des neuen sudanesischen Justizministers Abdelbari, der im Herbst 2019 kurz nach seiner Ernennung beim HRC in Genf auftrat. Für ihn sei dies keine Premiere gewesen, denn Jahre zuvor hatte er als Vertreter der Zivilgesellschaft an einer Sitzung des HRC teilgenommen. Sie geht auch auf aktuelle Ereignisse ein. So berichtet sie über ein von ILGA, OII und GATE organisiertes online Side Event zum Thema Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sport. Mitveranstaltet wurde das Event von den Genfer Vertretungen Südafrikas und Österreichs.
Gegner*innen kennen, Bündnisse schmieden
Für Nichtregierungsorganisationen empfiehlt es sich genau zu recherchieren, welche Staaten für eine Kooperation in Frage kommen. Es empfiehlt sich, ihr Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit, Regelungen im Inland u. ä. zu eruieren, bevor Anfragen gestartet werden. Einige Staaten haben sich in der Vergangenheit gegen LGBTI-Belange ausgesprochen, im HRC Blöcke gebildet und „traditionelle Werte“ gegen universelle Menschenrechte ins Feld geführt, um eine Neuinterpretation der Menschenrechte zu erreichen. Dazu zählen Russland, Ägypten, Pakistan oder China. Obwohl der Vatikan nicht Mitglied im HRC ist, findet er immer Wege, um Druck auszuüben, wenn es um die Belange von LGBTI geht. Als zivilgesellschaftliche Kooperationspartner im Bereich LGBTI empfehlen sich neben der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) auch Human Rights Watch oder der International Service for Human Rights (ISHR), der unter anderem von Brot für die Welt und vom Auswärtigen Amt finanzielle Unterstützung erhält
Universal Periodic Review
Besonderes Gewicht kommt dem UPR-Verfahren zu, dem Universal Periodic Review, dem menschenrechtlichen Überprüfungsverfahren, dem sich alle Staaten regelmäßig stellen müssen. Für Deutschland steht es 2023 wieder an. Das UPR ist eine sehr wichtige Neuerung, die 2006 eingeführt wurde und eine Menge bewirkt hat. Das UPR zu Deutschland habe mit dazu beigetragen, dass die Regelung zum Dritten Geschlecht eingeführt wurde.
Menschenrechtsrat zu George Floyds Tod
Document: Protect people of african descent against police brutality
Im Frühjahr, nach dem Tod von George Floyd, fand im HRC eine Dringlichkeitsdebatte zum Thema Rassismus in den USA statt. Im Vorfeld gab es massiven Widerstand der USA, die eine solche Debatte und die Verabschiedung einer Resolution zum Thema verhindern wollten. Auch die EU und Deutschland waren dagegen, die USA an den Pranger zu stellen. Die zivilgesellschaftlichen Netzwerke hingegen setzten alles daran, dass die Debatte stattfindet. Und sie fand nicht nur statt, sondern es wurde auch eine Resolution verabschiedet, in der zwar die USA nicht namentlich genannt wurden, wohl aber George Floyd. Hierbei handelt es sich nicht um rechtlich bindende Beschlüsse, sondern um politische Resolutionen und Empfehlungen. Staaten werden ermuntert, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und die Zivilgesellschaft kann Druck ausüben, so dass die Resolutionen auch Wirkungen entfalten.
Relevanz für Deutschland
Bei der genannten Dringlichkeitsdebatte war auch die Hochkommissarin für Menschenrechte anwesend. Zum Thema wird sie einen Bericht vorlegen, der wiederum diskutiert wird. So bleibt das Thema auf der Tagesordnung. Und, so Silke Voß-Kyeck, alle Staaten sind aufgefordert, bei ihren Polizei- und Justizbehörden für den Abbau von rassistischen Einstellungen zu sorgen. Die Resolution sei eben auch für Deutschland, wo über racial profiling durch die Polizei diskutiert werde, relevant. Auch dieses Beispiel zeigt: Langer Atem zahlt sich aus.
Coronabedingt war Silke Voß-Kyeck schon einige Monate nicht mehr vor Ort, hat aber an vielen online-Veranstaltungen teilgenommen. Im Herbst will sie wieder in Genf dabei sein. Doch natürlich hängt alles von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab.
Bericht: Klaus Jetz, LSVD-Geschäftsführer
Alle Artikel zum Projekt „Internationale Menschenrechtsdebatten vermitteln - Information und Partizipation aus LSBTI-Perspektive” finden Sie auch im LSVD-Blog unter dem Tag » HR 2020.
LINKS
- HRC-Debatte über die Resolution zum Schutz von Menschen afrikanischer Herkunft vor rassistischer Polizeigewalt (UN-Web TV)
- Website UN-Menschenrechtsrat in Genf - United Nations Human Rights Council (engl.)
- 44th session of the Human Rights Council (HRC)
- 43rd Session of Human Rights Council: Resolution on systemic racism at UN Human Rights Council
- OHCHR and LGBTI
- Video: LGBTI-Human Rights at Geneva, 30 June-20 July 202, ILGA World beim UN-Menschenrechtsrat
- Berichte des Forum Menschenrechte zu den Sitzungen des Menschenrechtsrates
- International Service for Human Rights
Videos
Urgent debate on Racially Inspired Human Rights Violations
LGBTI human rights at the 44th UN Human Rights Council
44th session of the United Nations Human Rights Council
Quelle: ILGA website
Einladung: Der UN-Menschenrechtsrat und die Zivilgesellschaft
Eine Einführung mit Dr. Silke Voß-Kyeck, UN-Expertin
Wann: Dienstag, 28. Juli 2020, 17:00-17:45 Uhr
Wer: Dr. Silke Voß-Kyeck, UN-Expertin und Berichterstatterin für das Forum Menschenrechte (FMR)
Moderation: Sarah Kohrt, LGBTI-Plattform Menschenrechte der Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Hiermit laden wir herzlich ein zum Web-Talk mit Dr. Silke Voß-Kyeck, die eine Einführung in die Arbeit, Geschichte und aktuelle Debatten des UN-Menschenrechtsrats in Genf geben wird. Daneben diskutieren wir Partizipationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft und die Rolle des UN-Menschenrechtsrats für globale Antidiskriminierungskämpfe.
Was macht der UN-Menschenrechtsrat und wer hat darin wieviel Einfluss? Wie bringt sich die Zivilgesellschaft ein und durch wen ist sie vertreten? Warum ist er umstritten? Wie wurde bei der Sommersitzung 2020 zur rassistischen Polizeigewalt in den USA Stellung bezogen?
Die Veranstaltung ist offen für alle Interessierten. Der Zugangslink wird am selben Tag per E‑Mail an alle Angemeldeten verschickt.
Wir bitten um Anmeldung per E‑Mail bis 28. Juli, 10 Uhr mit Namen und ggf. Organisation bei klaus.jetz [at] hirschfeld-eddy-stiftung.de
Hintergrund: Der 2006 gegründete UN-Menschenrechtsrat (englisch United Nations Human Rights Council, UNHRC) mit Sitz in Genf ist das zentrale Organ der UN für den internationalen Schutz von Menschenrechten. Gerade für die Menschenrechte von LSBTI wurden im UNHRC wegweisende Berichte, Mandate und Entscheidungen auf den Weg gebracht. Durch seine wenigen Mitgliedsstaaten, deren Abstimmungsverhalten und interne Allianzen gerät er jedoch immer wieder massiv in Kritik. Wenig bekannt ist, dass die Zivilgesellschaft sich wichtige Partizipationsmöglichkeiten erarbeitet hat. So haben vor allem zivilgesellschaftliche Akteur*innen die Diskussion und Durchsetzung der Menschenrechte von LSBTI vorangetrieben.
Alle Artikel zum Projekt „Internationale Menschenrechtsdebatten vermitteln - Information und Partizipation aus LSBTI-Perspektive” finden Sie auch im LSVD-Blog unter dem Tag » HR 2020.
Eine Veranstaltung im Rahmen des Projekts „Internationale Menschenrechtsdebatten vermitteln – Information und Partizipation“